20.05.2005 Nach eineinhalb Wochen Sightseeing im Pekinger Botschaftsviertel haben wir die wichtigen Stempel im Pass, die uns die Grenzen zu Indien und Pakistan öffnen. Wenn alles klappt, werden wir am kommenden Sonntag 22. Mai die City of Bicycles verlassen. Auf dem Weg zum Gelben Fluss, dem Huang He, werden wir die Westberge durchqueren und damit in die Provinzen Hebei und Shanxi gelangen.
Nach geschätzten 1500 Kilometer auf dem Velo wird unser erstes Ziel die ehemalige Kaiserstadt Xi'an im Herzen Chinas sein.
Unterwegs
25.05.2005Am Sonntagmorgen 22. Mai 2005, 8:30 Uhr, bei stahlblauem Himmel und mit bepackten Fahrrädern, verliessen wir Peking in Richtung Westberge. Diese gelten
alsNaherholungsgebiet der Pekinger Bevölkerung. Viele Obstgärten und Felder säumten die gut ausgebaute Strasse. Nach einem kleinen Pass fanden
wir unsere erste Unterkunft. Im kleinen Ort Yanchi bekamen wir bei einer Familie ein Zimmer, welches nebenan sogar eine Dusche hatte.
Am nächsten Morgen, nach einer Schüssel Reisschleim (zhou), fuhren wir weiter Richtung Westen das Tal hoch. Unterwegs trafen wir immer wieder
Strassenarbeiter, welche ihre Englischkenntnisse mit "Challo" an uns ausprobierten. Der Pass auf 909 Meter über Meer war auch gleich die Grenze zur Provinz
Hebei. Der nächste Übernachtungsort war Pengtoucun, welchen wir nach 6 Stunden und 31 Minuten Fahrt erreichten. Die Herberge war dann doch
sehr einfach eingerichtet. Die Toilette befand sich zum Beispiel auf der anderen Strassenseite und bestand aus zwei Löchern. Die Schweine nebenan
leisteten uns gute Gesellschaft bei unserem Geschäft. Mit einem kleinen Aufpreis durften wir sogar gemeinsam in einem Zimmer uebernachten.
Am dritten Tag war unser Ziel Laiyuan. Auf unsererKarte 1:1,5 Mio. sah die Strecke von gut 100 Kilometer nicht allzu hügelig aus. Aus dem flachen
Tal wurde dann aber plötzlich ein Berg. Unsere Wasserreserven neigten sich dem Ende zu und wir hatten Hunger. Endlich kamen wir zu einem Haus. Da wir schon
die volle Aufmerksamkeit der Arbeiter auf uns gezogen hatten, fragten wir mit einem freundlichen lächeln, ob es hier etwas zu Essen gäbe. So
wurden wir gratis mit Nudeln verköstigt und durften sogar auf einem ihrer Betten fernsehen und Pause machen.
Danach nahmen wir den Pass auf 1244 Meter über Meer in Angriff. Auf der anderen Seite des Berges wurden wir dann mit einem wunderschönen Ausblick
auf die grosse Mauer belohnt!
Nach siebeneinhalb Stunden Fahrzeit erreichten wir dann totmüde die Industriestadt Laiyuan. Da wir wahrscheinlich die ersten Ausländischen
Touristen dieses Jahres waren, hatten wir überall eine Menschenmenge um uns herum. Doch die Leute hier sind im allgemeinen sehr freundlich und
hilfsbereit.
Eine Woche
29.05.2005 Schon über 500 kilometer und zwei Regentage haben wir nun hinter uns. Nach
unserem Ruhetag in Laiyuan ging es weiter in ein Gebiet, das neben der Landwirtschaft vor allem von der Schwerindustrie lebt. Damit wurder die Landschaft karger und die Häuser baufälliger. In der ersten grösseren Stadt waren wir wahrscheinlich die ersten Ausländer, die sich bis dorthin gewagt haben. So assen wir unsere Nudelsuppe unter den starrenden Blicken dutzender Einwohner.
Wir durchquerten die Gebirgskette Heng Shan, die sich von Ost nach West um den Norden der Provinz Shanxi windet.Bei der Durchfahrt besuchten wir das
Hängende Kloster (Xuankong Si) südlich der Stadt Hunyuan. Dies ist eines dereindrucksvollsten Bauwerke des Heng Shan. Es klammert sich in halber Höhe
an eine steile Felswand und ist mit langen, an Felsvorsprüngen verankerten Holzpfählen abgestützt.Als einziges Kloster landesweit vereint Xuankong Si Heiligtümmer aller drei Hauptreligionen Chinas (Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus).
Etwa 50 Kilometer weiter westlich stiegen wir auf die fast 1000 jährige Pagode von Yinxiang. Das älteste Holzbauwerk von ganz China ist fast 70 Meter hoch und besitzt neun Stockwerke, obwohl es nur über ein sechsstufiges Dach verfügt.
Zur Zeit befinden wir uns in Shuozhou, einer Industriestadt im 70er Jahre Look, und übernachten im "Grand Hotel".
Am Gelben Fluss
01.06.2005 Nun sind wir am Gelben Fluss angelangt. Dieser fliesst auf 4845 km Länge
durch neun Provinzen: vom tibetischen Hochland im Westen durch die Innere
Mongolei, dann unvermittelt nachSüden in die Provinz Shanxi und schliesslich
in Östlicher Richtung durch die Überschwemmungsgebiete von Shaanxi,
Henan und Shandong bis zum Golf von Bohai. Der obere Flussabschnitt sorgt
für dringend benötigte Bewässerung und Energie, doch die zweite
Hälfte hat schon häuffig Flutkatastrophen ausgelöst. Die rund 1,6 Milliarden Tonnen Schlamm, die der Fluss jährlich mit sich führt, gibt dem Fluss auch die gelbe Farbe.
Der Weg zum Gelben Fluss führte uns quer durch die Provinz Shanxi. Dies
ist eine sehr karge Gegend,welche vor allem vom Kohleabbau lebt. Ein
Drittel der Kohlereserven Chinas stammen aus dieser Region. Unsere Lungen
wurden daher mitschwarzem Staub und Lastwagenabgasen gefüllt!
Interessant waren aber die vielen Höhlenwohnungen, welche schon seit fast
2000 Jahren genutzt werden. Diese werden in die Hänge der Berge eingearbeitet, die zu landwirtschaftlichen Zwecken terrassenförmig abgetragen worden sind, und bieten über 80 Millionen Chinesen ein zu Hause. Sie sind überaus praktisch: billig, leicht anzulegen, natürlich isoliert und dauerhaft.
Gelber Fluss, Staub, und ganz viel Kohle
08.06.2005 Nach einem Ruhetag in Fugu fuhren wir dem linken Flussufer des Huang He
entlang Richtung Süden. Je weiter wir dem gelben Wasser folgten, desto
kleiner wurden die Dörfer, schmäler die Strassen und grossartiger die
Landschaft.
Unterwegs wurden wir spontan, von einem alten Bauer, zu einem Glas Wasser
eingeladen. In seiner angenehm kühlen Höhlenwohnung nötigte er uns zu zwei
grossen Flaschen "Hopfenwasser". Auf der anschliessenden Flussüberquerung mitder Fähre bekamen wir die Promille im Blut zu spüren!
Nun dem rechten Flussufer folgend, machten wir Bekanntschaft mit Imkern, Bauern und Polizisten. Letztere wollten uns tatsächlich ein Hotel in 50 Kilometer Entfernung aufschwatzen. Das war nun doch etwas zu weit! Schlussendlich übernachteten wir aber bei einer netten Familie und bildeten somit die Abendunterhaltung der gesamten Dorfbevölkerung. Jeder kam um uns ein wenig anzusehen. Einer meinte sogar, es sei wie im Fernsehen.
Die Einwohner versicherten uns, dass am steilen Flussufer kein durchgehender Weg weiterführt. So änderten wir wir unseren Plan, dem Huang He zu folgen, und wichen auf die Strasse durchs Hinterland aus, was sich jedoch als schweren "Fehler" erwies. Auf über 70 Kilometer fanden wir die wohl schlechteste Strasse und dreckigste Gegend ganz Zentralasiens. Schlaglöcher, Bachläufe, hunderte von Lastwagen und knöcheltiefer Staub zerrten an unseren Kräften. Völlig abgekämpft fanden wir bei einem Wirt eine Bleibe. Beim Nachtessen fühlten wir uns wie im Zoo. Die Nachbarn kamen Gruppenweise um uns anzustarren und immer die selben Fragen zu stellen. Obwohl unsere Nerven schon ziemlich strapaziert waren, machten sie sich nichts daraus, uns auch beim Waschen zuzusehen. Sogar um Mitternacht kamen sie noch in unser Zimmer um die Velos zu begutachten. Dass wir gleich daneben schon schliefen, schien sie überhaupt nicht zu stören. Tja, Ausländer sind hier eine wirkliche Rarität!
Nach der nächst grösseren Ortschaft Lishi wurde die Landschaft wieder schöner und ruhiger. Seit langem konnten wieder mal frische Luft und den Geruch von Nadelwald einatmen und unsere Lungen von all dem Staub säubern.
Momentan sind wir in Jixian und haben heute die Hukou Wasserfälle besucht. Hier hatte der Gelbe Fluss das Gefühl, er müsse sich ausgerechnet durch die höchsten Berge der ganzen Gegend kämpfen.
In spätestens einer Woche werden wir unser vorläufiges Ziel Xi'an erreichen.
Dort versuchen wir ein weiteres Mal unsere Fotos hochzuladen. Die Internetcafes
hier auf dem Lande sind dafür noch nicht ausgerüstet!
Xi'an
16.06.2005 Mit neuer Kraft in den Beinen verliessen wir die unwegsame Gegend des Hukou
Wasserfalls. Die Strasse führte uns über die jeweils höchsten Punkte
der Hügelkette. Endlich sahen wir die Terrassenfelder von oben und wir hatten eine interessante Aussicht über die zerfurchte
Landschaft. Doch im Tal angekommen, holte uns die bittere Realität wieder
ein: Tonnenweise Lastwagen, Schlamm, Kohlestaub und dampfende Industrie.
In Hejin haben wir die Sonne nie zu Gesicht bekommen; ob es Nebel oder unglaublich
dichter Smog war, haben wir nie herausgefunden.
Kaum die Grenze zur Provinz Shaanxi überschritten, wurde der Schwehrverkehr
geringer, die Luft besser und die Gegend gepflegter. Riesige Obstplantagen säumten den Weg und Aprikosen, Pfirsiche und Wassermelonen versüssten uns die Pausen. Weiter unterwegs nach Xi'an sahen wir die lebendige Altstadt von Hancheng, übernachteten für umgerechnet 16.- Franken in einem 5-Stern Hotel und besuchten in Lintong die Terrakottaarmee. Am letzten Montag erreichten wir bei 40 Grad im Schatten die alte Kaiserstadt Xi'an.
In den vergangenen drei Wochen bekamen wir ein Stück Land zu Gesicht,
welches für Millionen Chinesen den harten Alltag bedeutet, aber von der
Tourismusbranche gänzlich ausgeklammert wird. Für uns bedeutete
dies spannende Einblicke in eine fremde Welt und interessante Bekanntschaften, aber auch einige anstrengende und unangenehme Momente.
Hier in Xi'an wurden wir vom Wushu-Lehrer Fan herzlich empfangen. Er hat
uns gleich nach unserer Ankunft ein zentrales und preiswertes Hotelzimmer
organisiert.
Als erstes mussten wir unsere Weiterreise planen und Tickets kaufen. Dies
ist leichter gesagt als getan! Unsere Fahrräder scheinen hier ein richtiges
Problem zu sein. Auf dem Reisebüro bekamen wir nur sehr spärliche
Auskunft über eine Flugverbindung nach Ürümqi, von dort nach
Kashgar konnte diese Dame keine Angaben machen. Über Busse
und Züge wusste sie überhaupt nichts. Auch auf dem Bahnhof konnten
sie uns nur Verbindungen für die Hälfte der Strecke angeben. Bei der Frage nach dem Velotransport wurden wir nur komisch angeschaut. Busse gibt es gar keine
nach Kashgar.
So entschieden wir uns mit dem Flugzeug zu reisen. Hilfe bekamen wir durch
Lehrer Fan. Er organisierte uns mit einigen Telefonanrufen zwei relativ
preiswerte Flugtickets, die wir sozusagen über die Strasse kauften.
Das heisst, wir trafen den Agenten ein erstes Mal vor einem Spoppingcenter
um unsere Namen und Passnummern anzugeben, beim zweiten Mal war dann die
Ticketübergabe in einem Restaurant.
Doch auch per Flugzeug schienen unsere Fahrräder ein Problem darzustellen.
Wir verbrachten ganze fünf Stunden bei einer Versandfirma um unsere
Velos einzupacken. Als das erste vollständig in Karton und Klebeband
gewickelt war, stellten diese Damen und Herren fest, dass das Packmass zu
gross war. Nun hiess es die acht Kilometer Klebeband wieder aufschneiden,
das Fahrrad auspacken und soweit zu zerlegen, wie es ging. Natürlich
waren immer etwa sieben Personen anwesend und jeder wusste wie's am besten
geht!
Tja, auf jedenfall fliegen wir nun morgen Freitagabend von Xi'an Richtung
Ürümqi, verbringen dort eine Nacht am Flughafen und reisen
am Samstagmorgen weiter nach Kashgar. So kommen wir gerade richtig, um den
berühmten Sonntagsmarkt miterleben zu können.
Von hier aus reisen wir dann weiter, dem Karakorumhighway entlang Richtung
Islamabad in Pakistan. Unterwegs möchten wir unseren Kollegen Erich Ermel
im Basislager der Schweizer Forschungsexpedition swiss-exped am Muztagh Ata besuchen.
Fan Qiang ist von uns gegangen...
29. September 2013
Lieber Fan,
Wir werden die lustigen Essen mit dir in Xi'an immer in Erinnerung halten... ganz besonders deine gestenreiche Herkunfsbeschreibung für die undefinierbaren Fleischstücke an den Kuttel-Spiessen...