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Asien 2010/11
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Osttibet

 

Nach der chinesischen Grossstadt Xining verabschieden wir uns definitiv in die Bergwelt Osttibets. Drei Wochen fahren wir über Pässe und Grasland, durch endlose Hügellandschaften und bewaldete Bachtäler. Unser letzter grosser Aufstieg führt uns auf den Balang Shan Pass am östlichen Rande der Qinghai-Tibet-Hochebene. Darauf folgen viertausend Höhenmeter Abfahrt in die Metropole Chengdu, wo wir in die Konsumwelt der chinesischen Menschenmassen eintauchen.

 
 
Passhöhe mit Ausblick

3. November 2010 Knapp vier Wochen liegen zwischen der Millionenstadt Xining und der Metropole Chengdu. Nicht auf direktestem Weg, sondern mitten durch die Berge soll es gehen: Zwölf 3'000er- und nicht weniger als vierzehn 4'000er-Pässe gilt es auf unserer Route während 18'000 Höhenmetern zu bewältigen.

Xining verlassen wir gemütlich zusammen mit unseren deutschen und polnischen Freunden Kerstin, Jens, Ania und Robb in Richtung Süden. Wir fahren durch vorwiegend von muslimischen Hui-Chinesen bewohnte Täler. Es ist Herbst und damit Erntezeit. Zu perfekten Garben zusammengeschnürte Getreidebündel stehen zu hunderten auf den Feldern, zeltförmig angeordnet und bereit zum Abtransport. Dazu gelbe Birken, leuchtend in der warmen Herbstsonne. Über Löss-Terrassen gehts runter an den Gelben Fluss und wieder hoch in das stark tibetisch geprägte Tongren. Hier trennen sich unsere Wege.

 

Uns zieht es weiter in Richtung Hochland. Zu unserem grossen Erstaunen fahren wir aber als Auftakt durch richtigen Wald - zum ersten Mal seit Bulgarien! Wir folgen wunderschönen Bachtäler und geniessen den Duft von Moos und Harz. Zwei Tage später wissen wir: Wenn man oben ist, heisst dies nicht unbedingt, dass es auf der anderen Seite wieder runter geht. Wir sind im riesigen Grasland rund um die Kleinstadt Zekog angekommen. Hier machen wir eine Ruhetag und studieren nochmals die Wettersituation. Aufgrund der Tatsache, dass der Westwind trockene Luft bringt und damit dort eher mit langen Schönwetterperioden zu rechnen ist, ändern wir unsere Pläne. Wir wollen tiefer in die Bergwelt eindringen und eine abgelegenere Strasse mit höheren Pässen befahren. Kaum sind die Würfel gefallen, fällt auch der Schnee. Nicht ganz nach Plan, aber die ganze Landschaft ist damit in sanfte Weisstöne gehüllt. Wir starten trotzdem und kämpfen uns mit tropfender Nase dem Wind entgegen. Zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise fahren wir eine längere Distanz in Richtung Westen und damit offensichtlich in eine Region, in der Ausländer vorwiegend im staatlichen Fernsehen zu bewundern sind.

Grasland bei Zekog nach dem Schneefall

Das liebste Fortbewegungsmittel der Tibeter ist das Motorrad. Ausgerüstet mit Lautsprecher auf dem Gepäckträger hört man sie schon von weitem. Am liebsten fahren sie minutenlang neben uns her, mit offenem Mund und stumm, bis nach einigen hundert Metern plötzlich ein viel zu lautes "okeee?!" herausplatzt. Nachdem sie uns endlich überholt haben, verspüren sie auffällig oft Harndrang, müssen am Strassenrand kleinere Reperaturen vornehmen oder haben ganz einfach Lust auf eine kleine spontane Pause. In den Ortschaften werden uns fast die Velos unter dem Allerwertesten weggerissen und Läden, die wir als einzige Kundschaft betreten, sind plötzlich pumpenvoll. okeee?!

Für die Mittags- und Kaffeepausen suchen wir uns jeweils ein Plätzchen, welches zum einen vor Wind, zum anderen aber auch vor Zuschauern geschütz ist. Gar nicht so einfach! Die Vorstellung, es gäbe hier unendlich Weiten und einsame Hochebenen muss gründlich revidiert werden. Überall bekommen wir spontanen, stummen Besuch, der erst wieder abzieht, wenn unsere Nudelsuppen gegessen sind und der Kocher zusammengepackt ist. okeee?! Wie's abends beim Zeltaufbau aussieht, kann man sich ja vorstellen... okeee?!

 

 

Die nächsten paar hundert Kilometer sind geprägt von einer unendlichen Hügellandschaft, bedeckt mit herbstlich goldenem Gras, welches als Futter für die unzähligen Yaks dient. Diese warten wiederum darauf, selbst gegessen zu werden. Fressen und gefressen werden. Und dann immer wieder Pässe, einer nach dem anderen. Doch auf jede Steigung folgt auch eine Abfahrt. Irgendwann. Manchmal zeigen uns die blauen Schilder schon von Weitem den höchsten Punkt, später stehen wir unerwartet schnell vor dem Dickicht von farbigen, vom Wind zerzausten Gebetsfahnen. Das Velofahren in grossen Höhen bereitet uns erstaunlich wenig Mühe, sind wir doch gut akklimatisiert. Nur die Kälte macht uns zu schaffen. Ist es in der Sonne noch einigermassen warm, wird es im Schatten schnell eisig kalt. Besonders der ständige bissige Wind dringt durch alle Schichten. Dazu kommen die kurzen Tage und langen Nächte. Gleich nach dem Znacht verkriechen wir uns in die warmen Schlafsäcke, zusammen mit einer heissen Bett-, respektive Pet-Flasche, welche wenigstens die Füsse etwas auftaut. Und was macht man vierzehn Stunden im Zelt? Man gibt sich warm, hört auf dem iPod alle Lieder mit a und dann mit b, oder schaut alle im letzten Hotel heruntergeladenen Podcasts von Dok, Einstein und Kassensturz etc. Und schlafen natürlich. Das nennt man Campingferien!

Passfotos

Immer wieder bahnen wir uns unseren Weg durch riesige Yakherden auf der Strasse. Problemlos für uns; auch mit den eindrücklichsten Körpermassen sind die Viecher Schisshasen. Die stärksten Tiere werden mit Zelt, Ofen und anderen Habseligkeiten beladen. Getrieben von Motorrad- oder echten Cowboys - und Cowgirls werden die Tiere in tiefer liegende Gegenden gebracht. Nur wir sind noch immer mit Zelt unterwegs und kämpfen jeden Morgen mit eisigen Kleidern und gegen den inneren Sauhund.

 

Je weiter wir nach Süden kommen, umso mehr buddhistische Klöster finden wir vor, und desto herzlicher werden von der Bevölkerung begrüsst. Uns fällt ganz besonders auf, dass viele Klöster renoviert und erweitert, oder gar gänzlich neu gebaut werden. Wie es scheint, wird die buddhistische Kultur - anders als oft angenommen - von China anerkannt und teilweise wohl sogar gefördert. Überhaupt denken wir, dass die Tibeter heute vom grossen China profitieren können: Der Staat baut gute Strassen und dringend benötigte Schulen. ChinaMobile stellt ein fast flächendeckendes Handynetz zur Verfügung, für diejenigen Geräte, die auch Tibeter so gerne ans Ohr drücken. China bringt Solar- und Satellitenanlagen, die so manches Nomadenzelt zieren. Motorräder und Benzin haben schon so manchem Cowboy das Zusammentreiben seiner Herden erleichtert. Und zu guter letzt beten batteriebetriebene Gebetsmühlen gänzlich ohne eigene Anstrengungen. Made in China. Auch Tibeter wollen am Fortschritt teilhaben. Die romantische Vorstellung von einem freien Tibet muss mindestens teilweise in Frage gestellt werden.

 

Die letzten Tage in den Bergen sind wir wieder mit Andi unterwegs. Unsere Routen kreuzen sich am selben Ort zur gleichen Zeit. Die Landschaft ändert sich nun überraschend stark. Wir fahren durch bewaldete Täler und tiefe Schluchten. Die Häuser werden mit Natursteinen gemauert und erinnern mit ihren Fenstereinfassungen von weitem an engadiner Häuser, von nahem an tessiner Rustico.

 

Nach Barkam (Ma'erkang) gilt es noch zwei viertausender-Pässe zu bezwingen, bevor wir das Qinghai-Tibet-Plateau hinter uns lassen können. Der erste soll als einer unserer schönsten in die Geschichte eingehen, der zweite als einer der längsten. Über zweitausend Höhenmeter sind zum Schluss zu bewältigen, bevor wir als Krönung die viertausend Meter Abfahrt - vier Kilometer in der Vertikalen! - unter die Räder nehmen dürfen. Doch weit gefehlt. Dichter Nebel und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt werden zur Tortur. Scheibenkratzen an der Brille alle paar Minuten, weiss in weiss, von prächtiger Aussicht keine Spur. Erst kurz vor dem Talboden sehen wir, wohin wir fahren. Wir sind im Wo Long Naturreservat, genau da, wo ein bedeutender Teil der gesamten Wildpopulation des Grossen Pandas überlebt. Zu sehen sind die Tiere allerdings zur Zeit nicht. Sämtliche Besucherstationen sind durch das grosse Sichuan Erdbeben vom am 12. Mai 2008 beschädigt und deshalb geschlossen worden. Je weiter wir uns dem Epizentrum nähern, desto mächtiger sind die Zerstörungen noch immer zu sehen. Zahlreiche Bergstürze haben die Strasse verschüttet oder den Bach gestaut. Zudem haben heftige Regenfälle in jüngster Zeit unzählige Erdrutsche ausgelöst. Wir kommen nur langsam vorwärts, fahren über Schuttkegel und an neu erstellten und schon wieder zerstörten Schutzbauten vorbei. Hier müssen gewaltige Kräfte am Werk gewesen sein.

 

In einem Endspurt erreichen wir schliesslich Chengdu. Hier wird gewaschen und geshoppt, vorallem aber gegessen. Es müssen die verlorenen Kilos wieder auf die Rippen gebracht werden. Kein Problem für uns; an Feinem und Ungesundem herrscht kein Mangel in einer chinesischen Grossstadt.

 

Fotos

Bikeshop in Chengdu www.natooke.com

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24. Oktober 2010 Wir haben 10'000 Kilometer in den Beinen! Während über 600 Stunden sind wir im Sattel gesessen - soviel wie sonst während 14 Wochen auf dem Bürostuhl. Zudem haben wir 72'000 Höhenmeter bewältigt - 80 Mal von Zernez auf den Ofenpass - und retour.

Und trotzdem waren wir recht gemütlich unterwegs: Wären wir nonstop unterwegs gewesen, hätten wir unsere vollgepackten Velos mit nur 2 km/h schieben können...

 

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 © weitweg.ch | letzte Aktualisierung: 27.04.2013